
4 unscheinbare Stresssignale im Berufsalltag, die du ernst nehmen solltest
Du bist oft erschöpft, gereizt oder innerlich distanziert – und hast dich vielleicht schon daran gewöhnt, weil es sich normal anfühlt? In diesem Artikel zeige ich dir vier typische Stresssignale, die im Berufsalltag leicht übersehen werden, aber viel mit deinem Nervensystem zu tun haben.
Inhaltsverzeichnis
Steuert dich dein Stress im Arbeitsalltag?
Vielleicht hast du dir über dein Nervensystem noch nie viele Gedanken gemacht. Für die meisten ist es ein Begriff aus dem Biounterricht – irgendetwas, das im Körper abläuft, aber mit deinem Alltag wenig zu tun hat.
Tatsächlich ist es genau umgekehrt: Dein Nervensystem ist ständig aktiv – auch wenn du es nicht bemerkst. Es reguliert nicht nur deine Atmung, deinen Herzschlag oder deine Verdauung. Es steuert auch, wie du dich fühlst, wie du auf andere reagierst und ob du dich sicher oder gestresst erlebst. Und genau das hat mehr Einfluss auf deinen Arbeitsalltag, als du vielleicht denkst.
Mein Nervensystem war viele Jahre aus der Balance. Und das hat mich in meinem Berufsleben ganz schön beeinträchtigt! Ich habe zum Beispiel unter Stress böse Mails geschrieben, obwohl das überhaupt nicht meine Art ist. Ich war oft erschöpft, genervt und konnte mich phasenweise nicht mehr richtig konzentrieren. Ich kam regelmäßig mit Verspannungen oder Kopfschmerzen nach Hause. Und obwohl mir mein Feierabend wichtig ist, konnte ich gedanklich kaum abschalten.
Heute ist das zum Glück anders. Und heute weiß ich: Das waren alles Anzeichen meines chronisch gestressten Nervensystems. Aber damals war mir das nicht klar. Ich dachte „Das ist halt so“ und habe nicht daran geglaubt, dass sich das ändern kann. Sondern habe mich weiter durchgekämpft.
Damit es dir nicht so ergeht, möchte ich dir vier typische Situationen zeigen, die für dich vielleicht auch schon zur Normalität geworden sind. Und ich lade dich ein, anders drauf zu schauen – nämlich durch die Brille deines Nervensystems.
Wenn du ungewollt impulsiv oder emotional reagierst
Jemand sagt etwas, das dich wie ein Blitz trifft. Ein Kommentar über dein Projekt erwischt dich auf dem falschen Fuß und plötzlich wirst du zu deiner eigenen Verwunderung zickig. Im Teammeeting lässt eine Kollegin beiläufig fallen, dass du es wieder mal übertreibst. Du versuchst erst, es locker zu nehmen, doch innerlich kocht es – und du konterst mit einem Spruch, den du sofort bereust. Und dann bekommst du eine Mail mit einer Aufgabe, obwohl deine To Do Liste schon überquillt. Du tippst sofort eine gereizte Antwort – und nimmst aus Trotz direkt deinen Vorgesetzten in CC.
Und obwohl du dir eigentlich vorgenommen hast, ruhig zu bleiben, passiert es doch: Du wirst patzig, genervt und antwortest schneller, als es dir selbst recht ist. Im Nachhinein denkst du: „Das war wirklich bescheuert von mir. Ich hätte souveräner reagieren sollen.“
Das passiert in deinem Nervensystem
Solche Momente haben meistens nichts damit zu tun, dass du „zu emotional“ bist. Sie sind ganz natürliche Reaktionen deines Nervensystems, wenn es eine Bedrohung erkennt. Noch bevor dir bewusst wird, was los ist, schlägt ein kleiner Bereich im Gehirn Alarm: die Amygdala.
Sie bewertet Reize von außen innerhalb von 50 Millisekunden – lange bevor die Informationen im Bereich für rationales Denken ankommen. Und wenn etwas als kritisch eingestuft wird, startet dein Nervensystem automatisch ein Schutzprogramm: Flucht, Angriff oder Rückzug. Dein Nervensystem legt mit der Verteidigung los, ohne dass du darüber nachdenken musst. Diese Reaktionsmuster sind tief verankert und haben sich oft über Jahre etabliert.
Was das für dich bedeutet
Gerade in stressigen oder konfliktbeladenen Arbeitssituationen passiert das häufiger – selbst dann, wenn die Situation eigentlich gar nicht so dramatisch ist. Dein System erkennt sie trotzdem als potenziell bedrohlich und reagiert entsprechend. Nicht, weil du „zu empfindlich“ bist. Sondern weil du gerade unter Stress stehst und diese Situation das Fass zum überlaufen gebracht hat.
Manchmal ist es genau dieses automatische Schutzprogramm, das dich dazu bringt, gegen deine eigentlichen Werte oder Vorsätze zu handeln. Wenn du das erkennst, ist es schon ein wichtiger Schritt in Richtung Selbstkontrolle. Verurteile dich nicht dafür, sondern nutze es als Möglichkeit, dich selbst besser zu beobachten und dir Handlungsalternativen zu überlegen.
Wenn dein Körper ständig angespannt ist
Du stehst morgens auf – und schon melden sich deine altbekannten Rückenschmerzen. Vielleicht merkst du, dass du in der Nacht mit den Zähnen geknirscht hast oder hast mittlerweile eine Beißschiene. Auf der Arbeit hast du immer wieder mit verschiedenen Beschwerden zu kämpfen: Verdauungsprobleme, Bauchschmerzen, innere Unruhe oder das Gefühl, nicht mehr tief durchatmen zu können. Nach einem langen Arbeitstag kommen dann oft Kopfschmerzen, Migräne oder ein steifer Nacken dazu.
Diese Beschwerden werden häufig als normal abgetan, gerade in Berufen, in denen viel Verantwortung und hoher Arbeitsdruck herrscht. „Gehört halt dazu“ oder „Mein Körper ist halt so“. Doch sie sind keine Symptome, die du einfach hinnehmen solltest. Sie sind Hinweise darauf, dass dein Körper dauerhaft angespannt ist und Stress gerade nicht richtig abbauen kann.
Das passiert in deinem Nervensystem
Wenn du unter Belastung stehst, startet dein Körper typische Stressreaktionen: Die Muskeln spannen sich an, die Herzfrequenz steigt, deine Atmung verändert sich, die Verdauung wird gedrosselt. In einem ausbalancierten Rhythmus würde dein System diese Reaktionen nach einer Anspannung wieder abschließen – etwa durch Bewegung, tiefes Durchatmen oder Entspannung.
Doch wenn der Stress nicht nachlässt oder immer wiederkommt, kann dein Körper in einem Zustand von „Bereitschaft“ bleiben. Die Stressreaktionen werden nicht richtig abgeschlossen, der Stresszyklus nicht beendet. Die Folge: Die Energie bleibt im System, und dein Körper speichert die Anspannung in Muskeln, Faszien, Organen und im Nervensystem selbst.
Was das für dich bedeutet
Die Rückenschmerzen, der verspannte Kiefer, die Verdauungsbeschwerden oder wiederkehrende Kopfschmerzen – all das sind keine bescheuerten Eigenarten deines Körpers. Es sind Zeichen dafür, dass dein Körper keine Möglichkeit gefunden hat, den Stress loszulassen.
Wenn du erkennst, kannst du damit anfangen, die Symptome als wertvolle Hinweise zu sehen. Dein Körper ist nicht gegen dich. Er versucht dich zu schützen. Aber er braucht deine Unterstützung, um Stressenergie loszulassen. Um danach wieder zur Ruhe zu finden.
Wenn deine Empathie plötzlich nicht mehr da ist
Vielleicht bist du in deinem Beruf viel im Kontakt mit Menschen – und es gehört zu deinem Alltag, dich auf andere einzustellen, sie zu beraten, ihnen zu helfen oder dich für sie einzusetzen. Oder du bist jemand, der sich in Gesprächen gut einfühlen kann und für seine empathische Art geschätzt wird. Aber in letzter Zeit hast du immer öfter das Gefühl, dass du nicht mehr richtig präsent bist.
Du sitzt jemandem gegenüber, hörst zu – aber innerlich bist du woanders. Dein Kopf ist bei der nächsten Aufgabe oder einfach nur leer. Manchmal merkst du, dass du gereizt bist oder kurz angebunden reagierst, wenn dich jemand um Hilfe bittet. Nicht nur dann, wenn es Kunden sind und es zu deiner Arbeit gehört. Sondern auch dann, wenn dir der Mensch gegenüber eigentlich wichtig ist.
Das passiert in deinem Nervensystem
Empathie ist keine reine Charaktereigenschaft – sie ist ein Zustand, für den dein Nervensystem Kapazität braucht. Wenn du unter Stress stehst, übernimmt der sympathische Teil deines Nervensystems: der sogenannte Kampf- oder Fluchtmodus. In diesem Zustand geht es vor allem darum, dich auf dein eigenes Wohlergehen zu konzentrieren.
Das bedeutet: Dein Nervensystem drosselt alle Fähigkeiten, die in diesem Moment nicht notwendig sind. Darunter sind auch Eigenschaften wie Zuhören, Mitfühlen oder echte Verbindung. Das passiert nicht bewusst, sondern ganz automatisch. Dein System folgt dem Prinzip: „Erst ich, dann die anderen.“ Und das ist auch total sinnvoll: In Gefahrensituationen ist es gefährlich, sich zuerst um andere zu kümmern.
Was das für dich bedeutet
Du bist nicht plötzlich gleichgültig oder egoistisch geworden. Und du hast auch nicht dein Mitgefühl verloren. Deine Empathie steht dir gerade einfach nicht zur Verfügung, weil dein System damit beschäftigt ist, dich selbst über Wasser zu halten.
Wenn du das erkennst, darfst du aufhören, dich dafür schlecht zu fühlen – oder dich selbst in Frage zu stellen. Deine Empathie und dein offenes Ohr für Andere sind nicht verschwunden, sie sind nur gerade nicht zugänglich. Und das kann sich wieder verändern, wenn es dir wieder besser geht.
Wenn du dich nicht mehr richtig erholen kannst
Du schläfst eigentlich genug, achtest vielleicht sogar bewusst auf Pausen im Arbeitsalltag. Und trotzdem startest du mit einem Grundgefühl von Müdigkeit in den Arbeitstag. Du brauchst viel Kaffee, um wirklich wach zu werden. Begeisterung für deinen Job? Längst verschwunden. Kaum bist du zu Hause, sehnst du dich schon nach der Couch. Und manchmal fühlst du dich am Montagvormittag genauso erschöpft wie am Freitagabend.
Vielleicht wunderst du dich – denn dein Job ist eigentlich gar nicht so anstrengend. Und doch begleitet dich ein dauerhafter Erschöpfungszustand, den du kaum loswerden kannst.
Das passiert in deinem Nervensystem
In einem regulierten Zustand kann dein Nervensystem flexibel zwischen Aktivität und Erholung wechseln. Wenn du jedoch unter chronischem Stress stehst – sei es durch äußeren Druck, innere Antreiber oder ständige Erreichbarkeit – bleibt dein System auf „An“. Es geht davon aus, dass es permanent etwas zu tun, zu leisten, zu bewältigen gibt. Selbst abends auf der Couch oder im Schlaf bleibt ein Teil deines Systems in Alarmbereitschaft. Dein Körper ruht sich zwar aus. Aber er regeneriert nicht.
Was das für dich bedeutet
Wenn du dich über längere Zeit nicht mehr richtig erholen kannst, schaltet dein System auf „Funktionieren“. Viele erleben dann einen Zustand, der sich fast normal anfühlt – ein Leben im permanenten „Durchhalten“. Doch je länger das anhält, desto mehr verschwinden neben der Energie auch Freude, Optimismus und das Gefühl von Sinn in deiner Arbeit. Irgendwann spürst du vielleicht: Innerlich hast du schon halb gekündigt.
Bleibt dieser Zustand bestehen, steigt sogar die Gefahr eines Burnouts. Denn irgendwann zieht dir dein Körper den Stecker – weil er soviel Energie aufbegraucht hat, dass nichts mehr da ist.
Wenn du dich in dieser Beschreibung wiederfindest, bedeutet das nicht, dass etwas falsch mit dir ist. Im Gegenteil: Es sind wichtige und sehr sinnvolle Signale. Sie zeigen dir, dass dein System gerade einer Dauerbelastung ausgesetzt ist. Und dass du jetzt besonders gut auf dich und deine Energie achten darfst.
Dein Nervensystem will dir etwas sagen – höre hin!
Vielleicht hast du beim Lesen gemerkt, dass du dich in vielem wiedererkennst. Dann ist das kein Zeichen dafür, dass mit dir etwas nicht stimmt – sondern ein Hinweis darauf, dass dein Nervensystem gerade auf Hochtouren arbeitet. Es versucht, dich zu schützen und dich durchzumanövrieren, auch wenn es sich nicht immer gut anfühlt.
Du musst nicht sofort alles ändern. Aber ich möchte dich dazu einladen, die Pausetaste zu drücken. Jetzt ist ein guter Moment, auf dich zu achten, deinen Alltag zu beleuchten und zu reflektieren. Vielleicht brauchst du mehr Pausen. Vielleicht neue Grenzen. Vielleicht auch jemanden, der dich dabei unterstützt, wieder in Balance zu kommen.
Ich wünsche dir viel Erfolg dabei!
PS: Wenn du lernen möchtest, wie du dein Nervensystem besser verstehen und stabilisieren kannst, begleite ich dich im Coaching gerne auf diesem Weg. Im unverbindlichen Erstgespräch schauen wir gemeinsam auf deine Situation – in Ruhe und ohne Druck.
2 Antworten
Liebe Julia, es ist faszinierend (und irgendwie auch erschreckend), wie sehr sich Stress in so alltäglichen und oft übersehenen Reaktionen zeigt. Besonders der Punkt mit der „verschwundenen Empathie“ hat bei mir einen Nerv getroffen. Es tut gut zu verstehen, dass das keine Schwäche ist, sondern ein Schutzmechanismus des Körpers. Danke für diese neue Perspektive. 🙏
Liebe Grüße, Petra
Liebe Petra,
das freut mich wirklich sehr, dass du beim Lesen eine neue Perspektive auf die Stressymptome bekommen konntest 😊 Ich finde das mit der verschwundenen Empathie auch sehr hilfreich zu verstehen, wenn es um den Umgang mit anderen Menschen geht. Wenn etwa die Sprechstundenhilfe beim Arzt unfreundlich ist, liegt es vielleicht auch daran, dass sie im hektischen Praxisalltag komplett gestresst ist und gar nicht mehr die Kapazität hat, nett zu sein. Seitdem ich das weiß, nehme solche Situationen weniger schnell persönlich. 🙂
Liebe Grüße, Julia